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Diese Recherche erschien in Zusammenarbeit mit ARD Panorama.

Die Lidl-Mitarbeiterinnen sind aufgeregt. Wie Models posieren sie in einem Instagram-Spot, strahlen in die Kameras, schütteln Hände. Eine von ihnen erzählt, wie es dazu gekommen ist. Für die neue Lidl-Kollektion habe das Unternehmen Mitarbeiterinnen für die Kampagne gesucht. „Und wir drei“, so erzählt sie es im Spot, „durften dabei sein!“. Dann schwenkt die Kamera hinüber zu einer Stange, an der rote, gelbe und blaue Kleider hängen. „Was wir da tragen?“, fragt das Mitarbeiterinnen-Model und antwortet prompt: „Besonders nachhaltige Kleidung, die sogar vom Grünen Knopf zertifiziert wurde.“ Am Ende des Spots taucht dann auch noch TV-Moderatorin Barbara Schöneberger auf, knipst ein paar Fotos von den Mitarbeiterinnen und ruft: „Ja, zeigt mir was drinsteckt in der Grünen-Knopf-Kollektion. Nachhaltigkeit will ich sehen!“

Ein Kleid aus der Nachhaltigkeits-Kollektion, die im Spot beworben wird, gibt es im Sommer dieses Jahres für 8,99 Euro. Nur ein paar Meter von unserem Flip-Büro in Hamburg ist eine große Lidl-Filiale. Dort sehen wir ein Plakat, das Werbung für das Kleid macht. Darauf steht: „Mehr Nachhaltigkeit. Mehr Sparen. Mehr Lidl.“ Das klingt, als würde das alles zusammenpassen. Als sei nachhaltige Mode keine Frage des Geldes, sondern bei Lidl für jeden erschwinglich.

Lidl wirbt mit günstigen Preisen und Nachhaltigkeit. Bild: Christian Salewski

Auch auf dem Plakat prangt das Logo des “Grünen Knopf”, dem offiziellen Textilsiegel der deutschen Bundesregierung. Ins Leben gerufen hat es der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), als Antwort auf das bisher größte Unglück in der Geschichte der Textilindustrie. Beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch starben 2013 mehr als 1000 Näher:innen. Die Welt war geschockt, viele Menschen begriffen, wer den wahren Preis für ihre Kleidung zahlt. Die Politik beschloss: Nie wieder Rana Plaza!

Im Jahr nach dem Unglück rief Müller das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben. Aus ihm ging später der Grüne Knopf hervor. Er soll Kund:innen zeigen, dass die Kleidung nach hohen sozialen und ökologischen Standards hergestellt wurde. Es gehe um “mehr Menschlichkeit” und um “Gerechtigkeit” in den Lieferketten, sagte Müller zur Einführung des Grünen Knopfs 2019. Mittlerweile ist das Vertrauen in das Siegel laut einer Gfk-Umfrage mit 67 Prozent außergewöhnlich hoch. Insgesamt wurden bis Mitte 2022 mehr als 260 Millionen Artikel verkauft, die den Grünen Knopf tragen.

Nicht nur das Unternehmen und Barbara Schöneberger behaupten also, dass das Kleid für 8,99 Euro nachhaltig und fair ist. Auch das Siegel der deutschen Bundesregierung bescheinigt das. Gibt es echte Nachhaltigkeit also wirklich zum Spottpreis?

Als wir das Kleid zu Recherche-Zwecken kaufen, steht auf der Packung “Esmara”, das ist die Lidl-Eigenmarke “für preisbewusste Fashionfans”, wie es auf der Website heißt. Wo das Kleid produziert wurde, steht nicht auf der Packung. Also packen wir es aus und suchen das weiße Etikett im Innern. Wir sind ziemlich baff. “Myanmar” steht dort klein gedruckt. Myanmar, das früher Burma hieß, ist eigentlich ein wunderschönes Land. Es gibt Bilderbuch-Strände, buddhistische Tempel und malerische Reisterrassen. Noch vor ein paar Jahren empfahl der Lonely Planet das südostasiatische Land als eines, das man unbedingt besuchen sollte. Spätestens seit einem Militärputsch im Februar 2021 ist das aber unmöglich. Die Minderheit der Rohinga wird gnadenlos verfolgt, im Kampf gegen die Opposition werden auch Zivilisten von der Militärjunta massakriert. Mehr als 60.000 Häuser hat sie nach UN-Angaben niederbrennen lassen.

Auch die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich rasant. Im Demokratieindex des Economist liegt das Land weltweit auf dem vorletzten Platz, noch hinter Nordkorea. Ein Bericht der Ethical Trading Initiative (ETI), in der auch Lidl Mitglied ist, stellte bereits im September 2022 systematische Zwangsarbeit, Ausbeutung und Unterdrückung von Gewerkschaften in Myanmars Textilsektor fest. Es sei für ausländische Konzerne in Myanmar nicht mehr möglich, die Einhaltung von Menschenrechten zu garantieren. Immer mehr Unternehmen ziehen sich deshalb aus dem Land zurück.

Und ausgerechnet hier, in diesem Unrechtsstaat, soll das Lidl-Kleid nach hohen ökologischen und sozialen Standards produziert worden sein? Wie will der Konzern das sicherstellen? Und: Wie wurde es vom Grünen Knopf, dem staatlichen Siegel, überprüft?

Verloren im Siegel-Dschungel

Wir beginnen unsere Recherche beim Grünen Knopf. Das Siegel gehört dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Dieses, so hat es der frühere Minister Gerd Müller formuliert, garantierte, dass der Grüne Knopf wirklich nur fair und nachhaltig produzierte Kleidung auszeichne – und zwar zu 100 Prozent. Man könnte daher denken, dass eine Heerschar von Beamt:innen im Ministerium über das Siegel wacht. Doch so ist es nicht. Das BMZ hat den Grünen Knopf quasi outgesourct.

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